User:Belsaia/Ijsbok/story
■■ Ein Grummelzwerg ■■

Kindheit in Mordor

Später, als mein Bart zu wachsen begann, bekam ich neue Aufgaben und mit diesen auch mehr Freiheiten. Ich musste jetzt Fässer mit rostigen Schwertern zur Schmiede und zurück zu den Kasematten schleppen. Dadurch kam ich auch auf die höheren Ebenen des Turms, die sich kurz unter der Oberfläche befanden. Wir wurden nicht mehr so streng kontrolliert und konnten uns auf den erlaubten Wegen relativ frei bewegen. Einmal gelang es mir einen kleinen rostigen Dolch einzustecken, der wohl aus einem der Fässer gefallen war. Diesen, meinen Schatz, versteckte ich an meinem Schlafplatz unter einem großen Haufen Unrat und nutzte in der darauf folgenden Zeit jede freie Minute zum Schleifen und Polieren des guten Stücks. Ich wusste damals noch nicht, wozu mir der Dolch nützlich sein sollte, hatte aber das unbestimmte Gefühl ihn unbedingt vor den Augen der Orks und Wächter, aber auch vor den anderen Zwergen verborgen halten zu müssen.
Jugend und Flucht

Ich weiß nicht genau, ob wir trotz unserer »Ausflüge« das Vertrauen der Wächter erlangten, oder ob ihnen einfach die Sklaven ausgingen. Jedenfalls durften wir nach einiger Zeit an die Oberfläche. An den Hängen des Aschegebirges mussten wir stinkende Wurzeln sammeln, die von den Alchemisten des Auges für ihre schwarze Magie benötigt wurden. Später hatten wir auch rostige Schwerter und Schilde aus längst vergessenen Schlachten am Orodruin und auf der Gorgoroth einzusammeln, damit die Schmieden genügend Futter bekamen. Im Laufe der Zeit machte sich eine gewisse Unruhe unter unseren Bewachern breit. Auch wir fühlten, das Veränderungen anstanden, aber niemand von uns konnte sagen, was das für uns bedeuten würde.
Dann geschah etwas, von dem wir glaubten, dass es nie eintreten würde. Der Dunkle Herrscher zeigte Furcht vor der Macht des Guten. Oder wenn nicht das allsehende Auge selbst, so doch seine Vasallen. Es herrschte eine hektische Geschäftigkeit in Mordor, Truppen wurden Richtung Morannon verschoben und neue Armeen von Ostlingen rekrutiert. Viele neue Kämpfer brauchen auch viele neue Waffen. Und so geschah es, dass wir niedere Sklaven plötzlich auch für Arbeiten außerhalb des Schwarzen Tores eingesetzt wurden. Unsere Aufgabe war es, unter Schutt und Geröll der Schlackehügel alte Waffen und Rüstungen zu finden und zur Aufarbeitung in die Schmieden zu bringen. In den wenigen freien Stunden wurden wir in den Verliesen von Udûn eingesperrt. Hier reifte zwischen Voci und mir der Plan zur Flucht. Bei passender Gelegenheit wollten wir unsere Wachen, die neuerdings aus nicht besonders starken Ostlingen bestand, überwältigen und dann nach Ithilien flüchten. Der Plan war vielleicht nicht ausgereift, aber der Mut der Verzweiflung würde uns führen.
Eines düsteren Tages war es dann soweit. Wir hatten nichts Konkretes geplant, als wir wieder einmal auf den Schlackehügeln nach rostigen Waffen buddeln mussten. Unsere Bewachung bestand nur aus einer Kompanie von Ostlingen, von denen wir schon wussten, dass sie manchmal unaufmerksam sind. Voci und ich waren mit einem Trupp unerfahrener Zwerge an einem der äußeren Hänge beschäftigt, als die Ostlingwache, die uns beaufsichtigen sollte aus einer Unachtsamkeit heraus den Halt verlor und den hang hinunter rutschte. Voci rief das zuvor vereinbarte Losungswort und unsere jungen Leidensgenoasen begannen eine wilde Rauferei. Sofort liefen alle Ostlinge dorthin und versuchten die befohlene Ordnung wiederherzustellen. Unsere Wache lag noch benommen am Boden und ein weiterer Ostling wollte uns gerade in Richtung der anderen drängen, als Voci ihn beherzt den Hang hinab stieß und mit einem kühnen Sprung auf seinen Schultern landete. Dem Krachen nach zu urteilen müssen etliche Knochen gebrochen sein, jedenfalls blieb die Wache regungslos am Boden. In der Zwischenzeit sorgte ich mit einem Stein dafür, dass auch der andere, unachtsame Wachmann weiterhin ruhig blieb. Dann flüchteten wir in südliche Richtung, hin zu den Sümpfen.
Auch wenn es sich so anhören mag, wir handelten nicht eigensüchtig. Wir hätten unsere Vettern gern mitgenommen, jedoch wussten alle ganz genau, dass jedem Flüchtigen, der erwischt würde, Schlimmeres, als der Tod drohte. Und so fiel das Los auf Voci und mich, mit dem Auftrag, die Bewohner Gondors von dem bevorstehenden Angriff zu unterrichten und von ihnen Hilfe zur Befreiung der Zwerge zu erbitten.
Überraschende Wendungen

Im Schutz des Schilfdickichts des Fennfeldes kämpften wir uns langsam nach Süden vor. Wir kamen auf dem sumpfigen Boden und dem dicht wachsenden Röhricht langsamer voran, als gedacht, aber schließlich fanden wir eine Methode, wir wir mit möglichst geringem Aufwand vorankommen konnten. Überall im Fennfeld erhoben sich kleine Buckel aus dem sumpfigen Boden. Diese waren nicht nur trocken, sondern auch nicht mit Schilf bewachsen. So konnten wir uns, von Buckel zu Buckel springend, recht zügig bewegen und erreichten trotz des Zickzackkurses bald den südlichen Rand des Fennfeldes. Hier begann das Mondland, welches zwar zu Gondor gehörte, aber in der letzten Zeit auch von Truppen des Dunklen Herrschers heimgesucht wurde. Wir mussten also weiterhin auf der Hut sein.
Just als ich Voci dieses mitgeteilt hatte, standen einer der beiden Ostlinge, die wir gefesselt zurück gelassen hatten, und der Hauptmann des Bewachungstrupps vor uns. Grinsend piekste dieser mich mit der Spitze seines Schwertes. »Das habt ihr euch fein ausgedacht, ihr fetten Maden. Netter Versuch, aber jetzt geht’s zurück und dann drei Wochen auf halbe Ration. Ihr habt entschieden zu viel Kraft.« Während ich noch fieberhaft überlegt, wie wir dennoch entkommen können, erstarb das Grinsen des Hauptmans und so plötzlich, wie sie vor uns aufgetaucht sind, fielen jetzt beide vornüber. Die Wunden in ihren Rücken und die blutigen Dolche in den Händen zweier grüngewandeter, ithilischer Waldläufer sprachen eine deutliche Sprache: Unsere Verfolger waren mausetot. Die beiden bedeuteten uns, ihnen zu folgen und so erreichten wir die grüne, von Wohlgerüchen durchdrungene Landschaft von Ithilien. Sie führten uns auf Schleichwegen zu ihren versteckten Rastplätzen, wo wir neben einem reichhaltigen Mahl, auch einen sicheren Schlafplatz bekamen. Zwei Tage wanderten wir so unbehelligt in südliche Richtung. Voci und ich kamen aus dem Staunen kaum heraus. Grüne Wälder, Lichtungen voller Blumen, Vögel, Bienen, Schmetterlinge und Tiere, die nicht Jagd auf einen machten und ein Waldboden, der bei jedem Schritt federnd nachgab, so dass es eine Lust war, darauf zu wandeln, kannten wir aus Mordor nicht. Dort war alles vertrocknet und hart oder tot und selbst die Natur war feindlich.
Just zu dem Zeitpunkt, als wir uns nach Westen wandten, um zu dem Versteck mit den Booten zu gelangen, traten erneut aufregende Ereignisse ein. Damit meine ich nicht die Diskussion mit unseren Begleitern, ob wir wohl in der Lage wären den Fluss zu überqueren. Die Frage war vielleicht fürsorglich gemeint, aber hallo?! Wir sind in Mordor aufgewachsen und haben jahrzehntelang der Dunklen Turm überlebt, was sollte uns da ein Fluss anhaben. Die Waldläufer hatten ein Stück nördlich von Osgiliath mehrere Boote versteckt, mit denen sie über den Fluss zu setzen gedachten. Um zu diesem Versteck zu gelangen, mussten auf einem Stück die Straße nach Süden bis zur großen Kreuzung und dann der Weg nach Westen in Richtung Osgiliath genommen werden. Das war nicht ganz ungefährlich, da hier immer wieder Ork-Patroullien vorbeizogen, aber immer noch sicherer, als der Weg durch das schroffe Bergland mit seiner dichten Wildnis. Anborn, einer unserer Begleiter, erzählte von steilen Felsklippen, die unvermittelt hinter einem Busch auftauchten und entweder ein unüberwindliches Hindernis darstellten oder den nichtsahnenden Wanderer in die Tiefe stürzen ließen. Wir hatten also eben die Kreuzung erreicht und uns versichert, dass keine Orks in der Nähe waren, als jemand völlig unerwartetes aus dem Dickicht trat. Ein Zwerg, dem die Flucht über den Pass von Cirith Ungol gelungen war. Der arme Kerl war offensichtlich ein Vetter, der das gleiche Ziel wie wir.
Als ich ihn so sah, schwitzend und hungrig, in zerrissenen Lumpen, schmutzig und mit blutverkrusteten Narben, von denen man nicht wusste, ob sie von den Dornen auf der Flucht oder den Peitschen der Orkwächter stammten, hatte ich das erste Mal eine ungefähre Vorstellung davon, welch jämmerliches Bild Voci und ich noch vor kurzem abgegeben haben.t hatte ich natürlich gut reden. Die Waldläufer haben uns am ersten Abend an einen Ort geführt, wo wir uns unter einem Wasserfall reinigen konnten. Meinen Bart musste ich etwas stutzen, weil es nicht möglich war, den ganzen Filz und Dreck aus Mordor zu entfernen. Dann haben sie uns saubere Kleider gegeben, die vorzüglich passten und nicht nach Kot und Dreck stanken. Voci lachte, als er mich mit gestutztem Bart sah und meinte, »So siehst du viel jünger aus. Wer dich nicht kennt, würde dich zu Mutter in die Küche schicken.« Ich hab ihm dann einen Apfel an den Kopf geworfen und selbst gelacht.
Ingtan, so hieß der Neuankömmling, erzählte in knappen Worten von den Umständen seiner Flucht und versicherte den Waldläufern, dass er ganz gewiss kein Spion Mordors sei, was ich Anborn auch umgehend bestätigte. Kein Zwerg, der als Sklave unter der Knute der Orks leben musste, ist zu so etwas fähig. Nach einigem Hin und Her, bei dem auch ein paar laute Worte gewechselt wurden, waren sie schließlich bereit, Ingtan mit uns reisen zu lassen. Schon am nächsten Tag setzten wir über den Großen Fluss. Eigentlich wären es nur noch zwei Tagesmärsche bis Minas Tirith gewesen. Aber da sich zwischen dem Fluss und der Stadt eine offene Graslandschaft erstreckte, zogen wir erst im Schutze der Dämmerung weiter und kamen erst am vierten Tag am Tor der Weißen Stadt an.