Social:Die Silberdisteln/family
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Master of Storytelling honorary title bestowed by Oakheart on May 25, 2021 |
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Die Geschichte der Familie Silberdistel
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So machten sie sich eines kalten Morgens im Frühjahr auf den beschwerlichen Weg über den nördlichen Pass. Auf diesem Weg mussten sie vielen Gefahren, wie hungrigen Wölfen, umherstreunenden Bilwissen und Steinschlägen auf schmalen Bergpfaden ausweichen. Doch schließlich schafften sie es, auch dank ihrer einmaligen Begabung, ungesehen und lautlos auf versteckten, nur ihnen bekannten Pfaden zu wandeln. Sie liefen Umwege von vielen Meilen, um allen Gefahren aus dem Weg zu gehen. Im ewigen Eis des hohen Passes holten sich einige von den Abenteurern Frostbeulen an den Füßen und fast alle hatten einen fürchterlichen Schnupfen. Kurz bevor ihre Vorräte zur Neige gingen fanden sie den Abstieg in die Täler auf der westlichen Seite der Nebelberge. Hier wurde es auch wieder wärmer und die Landschaft freundlicher. Am Fuße der Berge gelangten sie in einen ausgedehnten Buchenwald, der von schroffen Felsformationen und steilen Hügeln durchzogen war. Sie stießen auf Spuren von Hasen, Rehen und wilden Schweinen, aber auch auf die Fährten von Wolf und Bär. Während sie um letztere tunlichst einen Bogen machten, nutzen sie die Gelegenheit zur Jagd auf Rehe und Hasen, um die mittlerweile recht kargen Mahlzeiten wieder mit frischem Fleisch aufzuwerten. Nach einigen Wochen erreichten sie dann einen weiteren Fluss, auf dessen Ostseite der Wald bis an das Ufer reichte, während sich westlich eine weite mehr oder weniger baumlose Ebene auftat. Dieser Fluss war der Weisquell. Hier an den Ufern des Weissquell sollte Trullo einen guten Platz finden, um ein Heim und eine Familie zu gründen. Die kräftigsten Burschen der Gruppe wurden beauftragt, den Rest der Sippe auf den nun bekannten Schleichwegen über das Gebirge zu holen. Mit einigen Verzögerungen gelang es schließlich, alle Familienmitglieder, die kräftig genug und willens waren, den beschwerlichen Marsch über die Berge auf sich zu nehmen, sicher bis zu den Ufern des Weissquell zu führen. Weiter südlich, am Flussufer gruben sie neue Wohnhöhlen in die Hügel und Trullo heiratete ein kräftiges Mädchen aus seinem alten Dorf. So wurde er der Ahnherr der Silberdisteln.
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~~ Trullo Falbhaut ~~
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Im Grunde genommen waren seine – durchweg älteren – Vettern der Meinung, dass die Kuduks über kurz oder lang aus den Tälern des Großen Stroms vertrieben oder erschlagen würden und es deshalb an der Zeit sei, zu neuen Ufern aufzubrechen. Trullo hat zu dieser Zeit wohl mehr zu seinen Vettern aufgeschaut und diese um ihre klaren Vorstellungen und Ziele beneidet, als dass er selbst entschieden hätte. So hat er sich ihnen einfach angeschlossen, als sie entschieden die angestammten Gebiete zu verlassen. Und vermutlich hatte er keine Ahnung, worauf er sich einließ. Ungeachtet dessen schaffte er es über das Nebelgebirge und bis zu den Ufern des Weisquell. Hier liess er sich mit einigen anderen in einer friedlichen Auenlandschaft am Fluss nieder und gründete eine Familie, die der Ursprung der Silberdistels werden sollte.
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~~ Der Stammbaum ~~
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Auf den folgenden Seiten des Buches sind die Ahnentafeln und Stammbäume abgebildet, soweit sie aufgezeichnet wurden. Aber besonders bei dem ersten Blatt bzw. der Kopie davon – denn das Original ist leider verloren gegangen – sind keine Hinweise auf die Namen und Daten von Trullos Gattin oder die Frau seines Sohnes verzeichnet. Gleiches gilt übrigens für die Gemahlinnen von Willi und Otho Stadel, dennoch muss es sie gegeben haben, da sonst die Kinder nicht zu erklären sind. Viel schwerwiegender ist jedoch, dass jeder Twien bei einem genaueren Nachrechnen darauf kommt, dass hier einge Generationen komplett fehlen müssen. Das Trullo um das Jahr 1000 herum die alte Heimat verließ, ist verbürgt, auch die Lebensdaten von Roderic, die hier schon in der Auenlandzeit angegeben sind. Das bedeutet aber, dass zwischen Trullo und Roderic rund 1500 Jahre liegen. Entweder sind die Kuduk damals noch alt, wie Zwerge geworden, oder – was wahrscheinlicher ist – beim Kopieren der Schriften wurde eine Rolle vergessen. Aber es waren wohl die Zeiten, wo die Hobbits noch auf der Wanderschaft waren und nur die »wichtigen« Dinge aufgezeichnet wurden. Und wichtig waren aus der Sicht der Väter, die die Aufzeichnungen vornahmen, vornehmlich die Taten der Patriarchen, die Frauen haben ja »nur« den Haushalt zusammengehalten.
Es mag sein, dass einige Nebenlinien eigene Stammbücher führen und dort auch für ihre eigene Sippe beanspruchen, dass Trullo ihr Ahnherr ist. Das mag auch alles rechtens sein, steht aber nicht im Widerspruch zu unserem Stammbuch und mehr als diese Aufzeichnungen haben wird nicht.
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~~ Roderic Stadel ~~
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Der Anbau von Erdbeeren war der Haupterwerb unserer Familie, seit Otho herausgefunden hatte, dass diese auf den feuchten Äckern rund um Stadel wunderbar gediehen und auch nicht faulten, wenn mann etwas trockenes Stroh in die Reihen warf. Die Erdbeeren der Hobbits, wie unsere Rasse von den Menschen genannt wurde und wir uns seit einiger Zeit auch selbst nannten, waren besonders bei den Langen in Bree sehr beliebt und so konnte die Stadelfamilie gut von dem Ertrag leben, der im Frühjar und Sommer verkauft wurde. Roderic, der den Hof von seinem Vater übernahm, war für seine Experimente im Ackerbau bekannt und gefürchtet und wurde in Bree, wo er seine Erdbeeren verkaufte, als »Der Stadel« bekannt und in Stadel selbst einfach Roderic genannt. In den ersten Jahren lief alles wie von selbst. Die Stammkundschaft in Bree wartete schon auf die neue Ernte und war auch bereit, sich die gute Qualität der Erdbeeren etwas kosten zu lassen. Und auch die Beeren wuchsen fast von selbst. Doch dann folgte ein Schicksalschlag auf den nächsten. Erst führten zwei sehr trockene Jahre in Folge dazu, dass die Ernte nur noch ein Drittel der erwarteten Menge brachte. Dann, als im dritten Jahr endlich wieder Regen fiel und die Familie dachte, dass das Schlimmste nun überstanden sein, fielen Räuber aus Cardolan in Stadel ein und verwüsteten die Felder. Zu diesem Zeitpunkt reifte in Roderic die Idee, in die weißen Höhen weit im Westen zu ziehen, um dort eine neue Erdbeezucht aufzubauen.Er hatte gehört, dass der Boden in dieser Gegend, die ausschließlich von Hobbits besiedelt wurde, besonders geeignet für Erdbeeren sei und dort auch noch Neusiedler gesucht wurden. Roderic sprach mit seiner Familie und den Verwandten, tauschte Vollmachten aus, übergab seine Kunden an seinen Vetter, der in Stadel bleiben wollte und so war alles auf das Beste vorbereitet. Smial und Felder waren verkauft. Samen und Pflanzen für die neuen Äcker in Michelbinge vorbestellt und man brauchte nur noch den Hausrat auf die Fuhrwerke zu verteilen und die Reise konnte beginnen.
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~~ Die Sippe wächst ... ~~
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Aber leider wollten die Erdbeeren auf dem kargen und trockenen Boden am Breeberg nicht gedeihen. Fünf lange Jahre experimentierte Roderic mit unterschiedlichen Sorten. Doch der Erfolg war mäßig. Statt der wohlschmeckenden Erdbeeren wuchs das Unkraut und auf eine Erdbeerpflanze kamen vier Disteln. – Es war schier zum Verzweifeln! Roderic wurde auch nicht mehr Stadel genannt, das stimmte ja nicht mehr. Die Leute aus Bree nannten ihn nun meistens Roderic Pechbuur. Denn Pech war es, was die Familie hatte. Ohne den Verkauf von süßen Erdbeeren und Erdbeerkuchen, konnten sie sich kaum noch das Nötigste leisten und oft mussten sie hungern. Eines Tages, als die Familie wieder einmal nur einen alten Kanten Brot auf dem Tisch hatte, erhob sich Roderic vom Tisch und ging wortlos auf seinen Acker. Dort angekommen, überlegte er, wie die stacheligen kleinen Biester, die seine Erdbeeren erstickten, loszuwerden seien. Beim Betrachten der Disteln – Silberdisteln, um genau zu sein – kam er dann auf einen gewagten Einfall: Er könnte doch diese Disteln kultivieren und die Blüten zu Gestecken für den Küchentisch und Kränzen für Türen und die Köpfe jungen Dirnen verarbeiten und in Bree verkaufen. Da die Silberdisteln, wie er wusste, die Eigenschaft haben, auch in trockenem Zustand nichts von ihren Farben einzubüßen und die Gestecke und Kränze so lange Zeit haltbar waren, erfreuten sie sich in Bree bald großer Beliebtheit und die Zeiten des Hungerns waren für die Familie vorüber.
Weil Roderic auch sonst ein schlauer Fuchs war, erfand er einen speziellen Haarschmuck, den die Damen zu Festen tragen konnten. Jedes Jahr veränderte er Form und Aussehen des Haarschmucks etwas, so dass es bald ein ungeschriebenes Gesetz bei der breeländischen Damenwelt war, dass nur die angemessen für ein Fest gekleidet war, die Roderics neueste Kreation vorweisen konnte. Nach ein paar Jahren gehörte Roderic zu den wohlhabendsten Hobbits in Bree und aus Pechbuur war Silberdistel geworden.
Roderic sollte das Auenland nicht mehr selbst sehen, er blieb zeitlebens in seinem Smial am Breeberg. Aber seine beiden Söhne und später auch seine Tochter zogen dann doch noch ins Auenland, wo sie heirateten, sich ausbreiteten und vermehrten. So war der Name Silberdistel bald in Dachsbauten und Balgfurt, in Waldhof, Michelbinge und Lützelbinge und weiteren Orten anzutreffen. Im Laufe der Jahre wurden aus den Nachkommen angesehene Handwerker, Händler und Bauern. Es soll auch wieder einige Erdbeerbauern darunter gegeben haben. Aber geblieben ist allen der Name Silberdistel. Dieser zweite große Teil unseres Stammbaums umfasst acht Generationen und endet bei den Brüdern Drogo und Fredebald Silberdistel.
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~~ Oma übernimmt ~~
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Dort hat sie nicht nur ein hübsches Smial mit Garten am Hang des Breeberges bezogen, sondern im Laufe der Zeit auch den Ruf erworben, eine resolute alte Dame zu sein, die sich für die Rechte der ortsansässigen Minderheiten, wie Hobbits, Elben oder sogar Zwerge, schon mal mit dem Bürgermeister anlegt. Ihr wurde sogar die Ratsmitgliedschaft von Bree angetragen, die sie aber mit den Worten: »Dafür bin ich zu klein, zu unbedeutend und vor allem zu alt« ablehnte. Das hinderte sie allerdings nicht daran, regelmäßig die Ratsversammlungen zu besuchen, um den Anliegen der kleinen, armen und vergessenen Bürger Brees Gehör zu verschaffen und dabei dem Herrn Zartlärche seine Inkompetenz vorzuhalten. Einige Ratsmitglieder haben berichtet, dass der Bürgermeister hinter vorgehaltener Hand von einem ›Kapern‹ der Ratssitzung spricht und deshalb bei diesen Anlässen alles andere, als glücklich dreinschaut.Auch in der Stadthöhle in Michelbinge sind die Besuche der alten Dame gefürchtet. Zusammen mit ihrer Schwester im Geiste, der ebenso resoluten Tagetes Flinkfuss, hatte sie Bürgermeister Weisfuß schon dahin gebracht, die Geschäfte des Auenlandes meistens in ihrem Sinne – also zum Wohle der Allgemeinheit – zu führen. Das würde sie in Bree auch noch schaffen. Zumindest ihre Enkelinnen waren fest davon überzeugt.
Zudem ist sie in ihrem stolzen Alter von über neunzig Lenzen noch so agil und jung geblieben und schlägt regelmäßig in der Kapelle ihrer Enkelinnen die Trommel, dass manche schon mal gemunkelt haben, sie hätte wohl auch so einen Zauberring, wie der verrückte Beutlin. Doch das kann man getrost ins Reich der Märchen verweisen. Ganz besonders, wenn man weiß, dass der Ursprung dieser Gerüchte bei der vertrockneten, alten Schreckschraube Lobelia zu finden ist.
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